Fachtagung 20 Jahre VVPN
„Menschenbild und Psychotherapie“ -
Eine Bestandsanalyse im ständigen Werden
Bernd Schneid

Anlässlich des 20-jährigen Bestehens des vvpn lud der Verband der Vertragspsychotherapeuten Nordbaden im Rahmen einer Fachtagung zu dem aktuellen Thema „Menschenbild und Psychotherapie“ in das malerisch gelegene Schlosshotel Molkenkur in Heidelberg ein. Birgitt Lackus-Reitter vom vvpn-Vorstand begrüßte als Moderatorin der Veranstaltung die zahlreich erschienenen Tagungsteilnehmer und stellte die drei renommierten Referenten vor. Deren unterschiedliche Ansätze reichten von der kognitiven Verhaltenstherapie, zu Affektregulations- und Bindungstheorien, sowie zur phänomenologisch basierten Psychiatrie und bildeten eine transfakultäre Basis, um das Thema von verschiedenen Perspektiven zu beleuchten.

Mit einem Einleitungsreferat führte Hans Raimund Hirsch, vom Vorstand des vvpn, ins Thema und verknüpfte es mit den Aufgaben und Zielen des Verbands der Vertragspsychotherapeuten. Der Überblick zur Geschichte des Verbandes als verfahrensübergreifendem Zusammenschluss der gemeinsamen Richtlinienverfahren, ließ die Stationen von der Gründung im Jahr 1994, zu seiner Entwicklung als Dachverband und den berufspolitischen Erfolgen deutlich werden. Hirsch verwies auch auf durchaus gravierendere Dispute in der 20jährigen Geschichte, die allerdings stets demokratisch und solidarisch gelöst wurden. So zitierte Hirsch passend seine Kollegin Birgitt Lackus-Reitter, die einmal bemerkte: „Wir lernten uns zuzuhören.“ Insgesamt verwies Hirsch auf das innerverbandliche Klima der Toleranz und Wertschätzung, die für ihn im Verband die integralen Positionen sind. So Hirsch: „Wenngleich nach Außen unmerklich, ist der demokratische innerverbandliche Prozess vielleicht die höchste Leistung des Verbandes der Vertragspsychotherapeuten.“ Zum Ende wünschte er den Teilnehmern eine anregende Veranstaltung im gegenseitigen Austausch der vertretenen Standpunkte.

Das erste Fachreferat führte Prof. Dr. Martin Hautzinger, Lehrstuhlinhaber der Klinischen Psychologie und Psychotherapie an der Universität Tübingen. Unter dem Titel „Das Menschenbild in der modernen Psychotherapie“ eruierte Hautzinger die Methodik der Verhaltenstherapie im Hinblick auf das subjektive Erfahren des Patienten und dessen Unterstützung zur Bewältigung des scheinbar Unbewältigbaren. Hierbei ginge es vor allem um die Förderung der Klärungs-, Problemlöse- und Selbststeuerungskompetenzen beim Patienten und nicht um unauflösbaren Determinismus. So referierte Hautzinger divers über die Psychotherapie der Angst und der Depression, um mit dem Fazit zu enden, dass für das Menschenbild der Verhaltenstherapie der Körper als biologisches System die notwendige Evidenz bereitstellt; eines Menschen, der Selbstregulation herstellen kann, dessen Grundbedürfnisse erfüllt werden, der sich als mehrfachbestimmt akzeptiert und in einer Hierarchie von Werten und Zielen einrichtet. So Hautzinger: „Die körperlich-stoffliche Wirklichkeit bildet die Grundlage für psychisches Geschehen und Bewusstsein.“

Im Anschluss folgte der Vortrag „Gesundheit und Krankheit aus Sicht der Bindungsforschung und Affektregulation“ von Prof. Dr. Eva Rass, die sich schwerpunktmäßig mit Bindungstheorien, psychodynamischer Entwicklungspsychologie und Affektregulation befasst und als niedergelassene analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin arbeitet, sowie selbst Mitglied im vvpn ist. Eindrücklich stellte Rass dar – fußend auf der Affektregulationstheorie des renommierten amerikanischen Psychologen Allan N. Schore –, wie schwierig es für Eltern sein kann, intensive Spannungen bei ihren Kindern auszuhalten und ihnen die Möglichkeit zu geben, diese zu verarbeiten. Das Einschreiten nach der zentralen Verarbeitungszeit, bevor das Kind von seinen Affekten überwältigt wird, kennzeichnete Rass als überlebensnotwendig für die Entwicklung und seelische Ausgeglichenheit des Kindes. Rass sieht gerade dieses psychotherapeutische Wissen als kulturellen Nukleus, der nachhaltig vertreten werden müsse, um nachfolgenden Generationen die Grundlage für seelische Gesundheit zu ermöglichen. So Rass: „Der Schlüssel für das Gelingen dieser Prozesse ist die Fähigkeit der Fürsorgeperson, ihren eigenen Affekt zu beobachten und zu regulieren.“

Der dritte Vortrag des Tages wurde vom Philosophen und Psychiater Prof. Dr. Dr. Thomas Fuchs gehalten, der am Universitätsklinikum Heidelberg als Karl-Jaspers-Professor über die phänomenologischen Grundlagen der Psychiatrie und Psychotherapie forscht. Fuchs näherte sich dem Thema unter dem Titel „Subjektivität und Intersubjektivität in der psychiatrisch-psychotherapeutischen Diagnostik“. Hierbei beschrieb er Vorurteile der gegenwärtig dominierenden Neuropsychiatrie, die u.a. inflationäre psychiatrische Diagnosen zur Folge hätten. Hochversiert stellte Fuchs die Ansätze einer integrativen und auf Differenzierung basierten Diagnostik dar, die Ansätze zwischen Objektivierung (3. Person-Perspektive), Subjektorientierung (1. Person-Perspektive) und einer notwendigen intersubjektiven Perspektive (2. Person-Perspektive) verknüpft. Nach Fuchs stellt dabei vor allem die Person des Therapeuten den notwendigen Kreuzungspunkt der verschiedenen Perspektiven dar, als lebendiges Gegenüber, das seismologisch für Stimmungen und Atmosphären des Patienten aufmerksam ist und einer gefühlsbetonten, nonverbalen und „zwischenleiblichen“ Kommunikation den gebührenden Raum lässt. So Fuchs: „Schließlich bedarf auch die intuitive Wahrnehmung in der Diagnostik der Übung und Erfahrung; es sollte zu den zentralen Aufgaben der Aus- und Weiterbildung gehören, die Wahrnehmungsfähigkeiten von Psychiatern und Psychotherapeuten für zwischenleibliche Phänomene zu schulen, damit sie nicht nur nach manualisierbaren Strategien, sondern mit Intuition und Gespür die implizite Ebene der Beziehung zu diagnostizieren und zu therapieren lernen.“

In der die Tagung beendenden Plenumsdiskussion fand ein spannender wissenschaftlicher Diskurs zwischen Frau Rass und Herrn Hautzinger statt, bei dem die Position eines psychodynamischen Krankheitsverständnisses und eine verfahrensorientierte Behandlungsstrategie der Verhaltenstherapie gegenübergestellt wurden. Als Fazit wurde konstatiert, dass der schwierige Begriff des Menschenbildes in der Psychotherapie nach wie vor ein differentieller und nicht einfach zu fassender bleiben muss. Aus diesem Grund erschien der interdisziplinäre Austausch besonders fruchtbar.
Der die Fachtagung abrundende Festabend mit Buffet und Tanz wurde von der energetischen Soulband „Mels finest“ multiinstrumental begleitet und machte das 20jährige Jubiläum des vvpn zu einem rundum gelungenen Ereignis.
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